Typoman (Bild: Brainseed Factory)

„Spielen gehört zur Kultur des Menschen“, schreibt Christoph Deeg (Deeg 2012/2013). Digitale Spielkulturen würden nicht nur andere Kulturformen beeinflussen, sondern auch die Gesellschaft. So würde die Auseinandersetzung mit dem Spiel zum Teil der Realität werden, indem sich Spieler:innen in virtuellen Welten oder realen Treffen wie Conventions zusammenfinden.

Ein zentraler Aspekt ist hierbei die virtuelle Identität, die mithilfe der Spielfigur, des Avatars, gebildet wird. Entscheidend dabei ist, wie der Avatar gestaltet ist, wie er innerhalb der Spielwelt dargestellt wird und welchen Einfluss dies auf die Rezipient:innen hat. Wie wird der (semiotische) Körper in digitalen Spielen dargestellt und wie viel Gestaltungsfreiraum haben die Spieler:innen dahingehend?

Der semiotische Körper

Der „semiotische Körper“ (oder auch „Datenkörper“) ermöglicht es den Spieler:innen, innerhalb einer Spielwelt mit anderen Objekten und Charakteren zu interagieren. „Dieser semiotische Körper wird passend zu den Regeln und zur Fiktion des Spiels vom Computerprogramm generiert und fügt sich so auch in das computerkontrollierte ‚Bühnengeschehen‘ ein.“ (Neitzel 2018: 183)

Der semiotische Körper ist dabei nicht zwingend an die Darstellung des menschlichen Körpers gebunden – der Avatar nimmt, abhängig vom Game Design, unterschiedliche Formen ein, die sich im Sinne der Semiotik nach Ferdinand de Saussure auf zwei Ebenen zeigen: dem Signifikant (das Lautbild/der Ausdruck) und dem Signifikat (die Vorstellung/der Inhalt). Die Verbindung beider Elemente konstituiert das Zeichen, welches immer mit einem materiellen Träger zusammenhängt. (Vgl. Mersch 2001) In digitalen Spielen ist es der Avatar, der als Zeichenträger fungiert. Dieser kann in Form von bspw. menschlichen, abstrakten, geometrischen und stofflichen Körpern auftreten.

Verkörperungen

Es gibt eine Vielzahl an digitalen Spielen, die fernab der Darstellung des menschlichen Körpers mit grafischen Repräsentationen von Figuren arbeiten: Im Spiel Bulb Boy steuern die Spieler:innen einen Jungen, dessen Kopf aus einer Glühbirne besteht. Hier wird ein Gegenstand mitsamt seiner Funktionen – im Dunkeln beginnt der Glühbirnenkopf zu leuchten – mit menschlichen Eigenschaften wie Gestik und Mimik vermischt.

In Typoman wird der menschliche Körper nur angedeutet. Der Avatar ist, passend zum surrealen Setting und der Spielästhetik, aus einer Mischung von Tinte und Typografie gestaltet. Ziel ist es, den Helden durch eine gefahrvolle Welt zu führen, indem Wörter gebildet oder zerstört werden. Typoman spielt daher bewusst mit typografischen Zeichen: Einerseits verkörpert der Avatar selbst die Typografie, andererseits erzeugt er durch seine Handlungen und Fähigkeiten welche.

Ähnlich gestaltet ist das Spiel Type:Rider: Auch in diesem geht es um Schrift und Schriftarten, der Avatar hat allerdings keine Möglichkeit, seine Umgebung zu verändern, und keinerlei Bezug zum menschlichen Körper, da er als zwei Punkte „:“ dargestellt wird. Diese werden von den Spieler:innen durch die Geschichte der Schriftarten – von der Höhlenmalerei bis zum Pixel Art – durch verschiedene Rätsel und Hindernissen geführt.

Ein gutes Beispiel für Personifizierung ist Unravel: Gesteuert wird in diesem Spiel ein Wesen aus Garn, genannt Yarny, das entsteht, als eine alte Frau ein Wollknäuel fallen lässt. Fortan macht es sich Yarny zur Aufgabe, die Erinnerungen der Frau zu sammeln. Dabei entrollt sich der Garnfaden, der alles, was Yarny hinter sich lässt, miteinander verbindet.

Nicht jeder Körper ist sichtbar – in Flower bewegen die Spieler:innen aus der Egoperspektive den Wind. Mit diesem wirbeln sie Blütenblätter auf, sammeln sie und nutzen sie, um voranzukommen. Ziel des Spiels ist es, mithilfe des Windes Blumen erblühen zu lassen und die trostlosen Landschaften in fruchtbare zu verwandeln.

Der menschliche Körper

Anders als bei abstrakten und stofflichen Körpern, sorgen die Darstellungen menschlicher Körper für Diskussionen. Dabei stellen sich berechtigte Fragen hinsichtlich der Körperästhetik: Wie wird Weiblichkeit und Männlichkeit präsentiert? Werden stereotype Bilder reproduziert? Inwieweit ist Diversität gegeben – und wie werden Behinderungen dargestellt?

Viele digitale Spiele reproduzieren ein ästhetisches Wahrnehmungs- und Rezeptionsmuster. So werden die männlichen Helden in Spielen wie bspw. God of War und The Witcher als starke Charaktere mit Muskeln dargestellt, während Frauen als Heldinnen meist eine schlanke Figur haben. Geschlechterstereotype und veraltete Frauenbilder sind in digitalen Spielen noch heute weit verbreitet. Auffallend dabei ist, dass Frauen und Mädchen oftmals die Rolle der Hilflosen zugeschrieben wird, die vom männlichen Helden gerettet werden muss. Als Beispiele seien die Zelda-Reihe und Super Mario genannt – hierbei müssen die Prinzessinnen von männlichen Figuren befreit und beschützt werden. (Vgl. Sarkeesian 2013)

Es gibt Spiele wie Tomb Raider und Horizon: Zero Dawn, in denen Frauen als starke und unabhängige Hauptfiguren agieren, doch noch immer sind Frauen als Heldinnen unterrepräsentiert: „Zwar spielen Frauen in wichtigen Titeln wie ‚Cyberpunk 2077‘, ‚Control‘ (weiblicher Hauptcharakter), ‚Borderlands 3‘, oder ‚Lone Echo‘ eine sichtbare Rolle, doch haben nur sechs von 126 Titeln eine weibliche Hauptfigur, während 28 das Geschehen an einem männlichen Charakter aufhängen.“ (Weidemann, FAZ 2019)

Ähnlich verhält es sich mit Diversität: Der Einbezug dieser stellt eher die Ausnahme als die Regel dar. So gibt es zwar Spiele, die mit Gestaltungsmöglichkeiten arbeiten – wie bspw. Sims und Conan Exiles (hier ist es möglich, das Geschlecht zu wählen, und die Statur, Haut- und Haarfarbe und sogar die Geschlechtsteile anpassen zu können) – in Triple-A-Spielen, in denen der Held bzw. die Heldin in ihrer Darstellung vorgegeben ist, handelt es sich aber überwiegend um weiße Menschen ohne körperliche und/oder geistige Behinderungen.

Wenn sich in Spielen mit Diversität auseinandergesetzt wird, liegt der Fokus meist auf psychischen Erkrankungen. In den letzten Jahren erschienen einige Spiele, die psychische Erkrankungen verarbeiten, darunter Hellblade: Senua’s Sacrifice und Sea of Solitude.

Digitale Spiele als Teil Kultureller Bildung

Längst sind digitale Spiele als Kulturgut anerkannt und werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Dass sie für die Kulturelle Bildung relevant sind, zeigt sich in Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Kulturformen und dem Einfluss von Medien. So können Spiele ebenso wie Filme und Bücher Wahrnehmungsgewohnheiten aufgreifen oder diese durch innovative Darstellungen durchbrechen und neu auslegen.

Der Avatar hat dabei als semiotischer Körper, der auf der Gestaltungs- und Vorstellungsebene variiert, großen Einfluss auf die Rezipient:innen, wobei der abgebildete menschliche Körper präsenter ist: Die Herausforderung hinsichtlich der vielfältigen Darstellung von Körperlichkeit ist hierbei weitaus höher als bei abstrakten Avataren. Diese rücken bspw. durch ihr neutrales/unbekanntes Geschlecht Fragen nach problematischen Inszenierungen und Rollenzuschreibungen in den Hintergrund.

Digitale Spiele eignen sich insbesondere durch die mögliche Interaktion zwischen Spiel und Spieler:innen zur vielfältigen Gestaltung der Avatare. Koop-Spiele wie Gang Beasts beinhalten bereits die Funktion, den Avatar (begrenzt) gestalten zu können, wünschenswert wäre dahingehend die Ausweitung solcher Funktionen auf Triple-A-Spiele, die eine noch größere Reichweite haben als Couch-Koop- oder Indie-Spiele. Zumindest würde auf diese Weise das Quoten-Problem gelöst werden und der Avatar als semiotischer Körper Spieler:innen weitere Identifikationsmöglichkeiten anbieten.

Verwendete Literatur:

Weiterführende Literatur:

Ludografie

  • Bulb Boy. Bulbware. 2015.
  • Conan Exiles. Funcom. 2017.
  • Flower. Thatgamecompany, Bluepoint Games. 2009.
  • Gang Beasts. Boneloaf. 2014.
  • God of War. SCE Santa Monica Studio. 2018.
  • Hellblade: Senua’s Sacrifice. Ninja Theory. 2017.
  • Horizon: Zero Dawn. Guerrilla Games. 2017.
  • Sea of Solitude. Jo-Mei Games, Jo-Mei GmbH. 2019.
  • Sims 4. Maxis, The Sims Studio. 2014.
  • Super Mario (Reihe). Nintendo. 1983-2019.
  • The Legend of Zelda (Reihe). Nintendo. 1986-2017.
  • The Witcher 1-3. CD Projekt, CD Projekt RED. 2007/2011/2015.
  • Tomb Raider (Reihe). Core Design (bis 2003), Crystal Dynamics (bis 2015), Eidos Montreal. 1996-2018.
  • Type:Rider. Ex Nihilo, Novelab, Cosmografik. 2013.
  • Typoman. Brainseed Factory. 2015.
  • Unravel. Electronic Arts. 2016.